Jüdisches Schicksal und materielles Vermächtnis an der Universität Wien - Guido Adler und Berthold Hatschek: eine doppelte Fallstudie

Schreiber, Monika

Historischer und administrativer Hintergrund Die Plünderung kulturellen Besitzes durch die Nationalsozialisten erfasste alle Bereiche von Kunst, Kultur und Bildung und machte vor akademischen Objektsammlungen nicht Halt. Diese wurden auf Universitäten und Forschungsinstitutionen im gesamten Dritten Reich aufgeteilt. Auch die Universität Wien zählte zu den großen Nutznießern dieser Raubzüge. Während die Buchbestände zweifelhafter Herkunft schon seit 2004 vom Arbeitsbereich Provenienzforschung der Universitätsbibliothek Wien untersucht und gegebenenfalls restituiert werden, waren die über die ganze Universität verstreuten Lehr- und Schausammlungen bis vor kurzem kein Gegenstand der kritischen Erforschung.

Diese stellen eine Fülle an Instrumenten, Präparaten, Archivalien und vielen anderen Objektkategorien dar, die den globalen Bildungsauftrag einer Universitas studii generalis widerspiegeln. Im Jahre 2010 wurden die Sammlungen der Universitätsbibliothek administrativ unterstellt und über die Stabsstelle Sammlungskoordination an der UBW gebündelt und vernetzt. Vor diesem Hintergrund konnte sich im Herbst 2014 der Arbeitsbereich Provenienzforschung der Sammlungen annehmen.

Fallbeschreibung

Die vorliegende Darstellung unserer Arbeit an den Sammlungen konzentriert sich auf das materielle Erbe zweier Persönlichkeiten, die, obwohl sehr unterschiedlich in der akademischen Ausrichtung und im Charakter, in mehrfacher Weise persönlich und geistig miteinander verbunden waren: Guido Adler (1855 – 1941), weltberühmter Musikologe und Begründer des Instituts für Musikwissenschaft an der Universität Wien, und Berthold Hatschek (1854 – 1941), innovativer und einflussreicher Zoologe, Leiter des II. Zoologischen Vergleichend-Anatomischen Instituts an der Universität Wien.

Im Falle Guido Adlers, dessen große, von den Nationalsozialisten enteignete, Bibliothek bereits in der Vergangenheit an die Erben restituiert wurde, handelt es sich um drei historische Tasteninstrumente (Flügel, Cembalo und Clavichord), die sich in den Sammlungen des Instituts für Musikwissenschaft befinden. Der Verdacht auf ihren unrechtmäßigen Erwerb durch die Universität konnte entkräftet werden, es liegt somit kein Restitutionsfall vor. Gleichzeitig bietet die im Zuge der Forschung ermittelte Geschichte dieser Instrumente einen spezifischen Einblick in die Periode des Aufbaus der Wiener Musikwissenschaft. Es konnte somit ein Beitrag zur Institutionengeschichte geleistet werden.

In Berthold Hatscheks Fall geht es um seinen persönlichen Nachlass („Tischnachlass“), einen Koffer voll mit persönlichen und wissenschaftlichen Dokumenten, der den Nationalsozialisten vermutlich nach der Ermordung seiner Witwe im Jahre 1943 in die Hände fiel, und jetzt in der Zoologischen Sammlung der Universität Wien aufbewahrt wird. Von Raub ist deshalb auszugehen. Allerdings stehen, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Integrative Zoologie, noch Arbeiten an der Rekonstruktion der Familiengeschichte in der NS-Zeit und in der Erbensuche aus.

Synthese

Abschließend werden die Fälle Adler und Hatschek in den historischen Kontext der Universität Wien in der Zwischenkriegszeit gestellt, in der die antisemitisch motivierte Verdrängung jüdischer Professoren ein immer stärkeres Ausmaß annahm. Im Zuge dessen wird auch aufgezeigt, wie Persönlichkeitsunterschiede zu Lebzeiten sich auf die posthume Erinnerung und letztlich auf den Fortgang der Provenienzforschung auswirken können.